Sich aus der Flut der Schulden retten
Anke Meier (Name geändert) hat ihn noch rechtzeitig ergriffen, den rot-weißen Rettungsring, der die gleichen Farben wie das Logo der Caritas hat. Nach viel Überwindung und langem herauszögern saß sie das erste Mal am Tisch der Schuldnerberatung. Sie wollte "die Sache" endlich angehen.
Mit den Schulden ist es wie mit einem Fluss: Ist der kritische Pegelstand überschritten, gelten Hochwasserwarnstufen. Wenn das Geld nicht reicht, um gleichzeitig die Familie zu ernähren und die Verbindlichkeiten zu tilgen, läuft man schnell Gefahr, in die Strömung zu geraten. Frau Meier kennt das. Um Zwangsvollstreckungen abzuwenden, versuchte sie panisch ihre Gläubiger mit unrealistischen Ratenzahlungen zu beruhigen. Doch das restliche Geld reichte nicht zum Leben. Das Wasser stand bis zum Hals. Angesichts ihrer faktischen Zahlungsunfähigkeit entpuppten sich aber der Griff in den Dispo-Kredit und eine Kreditkarte aus dem Internet recht schnell nur als kurzfristige und vergebliche Rettungsversuche. Die Strömung wurde schneller und die schmerzhaft steigenden Lebenshaltungskosten taten ihr übriges. Der Schuldenstrom drohte, die letzten Gelder mit sich zu reißen. Dagegen dauerhaft anzukämpfen, ist kräftezehrend. Es bringt an die Grenze der seelischen und finanziellen Erschöpfung.
Anke Meier hat die Warnsignale zwar spät, aber nicht zu spät, realisiert. Denn sonst wäre die Alleinerziehende in den Sog gefährlicher Schuldenstrudel geraten: Verlust von Wohnung, Arbeitsplatz, Stromversorgung…
Gerade noch rechtzeitig hat sie nach dem Rettungsring gegriffen, dem sie schon so nahe war. Die Fachkräfte in der Beratungsstelle wissen: es kostet viel Überwindung, den Kontakt zu professioneller Beratung aufzunehmen. Dabei müssen die Betroffenen bei der Caritas aufgrund der Zuschüsse vom Landkreis Meißen und vom Freistaat Sachsen nicht einmal etwas bezahlen. Die meisten der Klienten spüren dann aber schnell Erleichterung, weil plötzlich Lösungsmöglichkeiten in den Fokus rücken.
Als Sofortmaßnahme zählt hierzu der Pfändungsschutz. Die Beratungsstelle ist befugt, Bescheinigungen über zusätzliche Freibeträge auszustellen. Damit lässt sich auch der notwendige Lebensunterhalt für die Kinder sichern. Frau Meier erhielt dadurch ihr gesamtes Gehalt und das Kindergeld von ihrem gepfändeten Konto ausgezahlt. Bestehen weitergehende Rechte, dann informiert die Beratungsstelle über zusätzliche Möglichkeiten der Antragstellung, zum Beispiel bei Gericht.
Bei einem ersten Finanz-Check erfuhr Frau Meier in der Schuldnerberatung, dass sich Anträge auf Wohngeld und Kinderzuschlag lohnen könnten, auch im Hinblick auf die Gebühren für Betreuung und Mittagessen in der Kita. Solche Informationen über Sozialleistungen helfen, das Einkommen aufzubessern.
Existenzängste, Selbstvorwürfe und Ohnmachtsgefühle belasten zusätzlich die Psyche. Den Mitarbeitenden in der Schuldnerberatung geht es daher immer auch um seelische Stabilisierung und um Motivation: nicht aufgeben, sondern dranbleiben, um tatsächlich wieder Boden unter die Füße zu bekommen.
Für eine perspektivische Entschuldung braucht es ein Konzept. Das besteht meist in einem tragfähigen Schuldenbereinigungsplan. Dieser soll alle Gläubiger zu einer einvernehmlichen Lösung einladen. Hierfür müssen die Forderungen zunächst erfasst und systematisiert werden. Für viele Laien ist das Geflecht aus Inkassounternehmen, Rechtsanwälten, Gläubigern und Finanzholdings kaum noch zu durchschauen. Durch die sehr umfangreiche Unterstützung der Schuldnerberatung gewann Frau Meier den Überblick über die Schulden zurück. Hierfür nahm die Beratungsstelle auch direkten Kontakt mit den Gläubigern auf.
Auf Grundlage der erarbeiteten Forderungsübersicht und im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten loteten sie Zahlungsmöglichkeiten aus. Angesichts ihrer Kinder konnte Frau Meier aus ihrem Erwerbseinkommen keine realisierbare Ratenzahlung für eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger aufbringen. Der Schuldenbereinigungsplan der Beratungsstelle wurde von den Gläubigern folglich nicht akzeptiert. Ein solcher außergerichtlicher Einigungsversuch ist bei einer Verbraucherinsolvenz dennoch gesetzlich vorgeschrieben. Die Beratungsstelle der Caritas Meißen hat die staatliche Erlaubnis, diesen durchzuführen.
Durch ein gerichtliches Verbraucherinsolvenzverfahren können sich Privatleute innerhalb von drei Jahren von ihren Schulden befreien, auch wenn sie - wie Anke Meier - nicht alles zurückzahlen können. Auch sie nahm das Angebot der Beratungsstelle dankbar an, zusätzlich die hierfür notwendigenden Antragsunterlagen für das Gericht gemeinsam zu erarbeiten.
Ihre Beratungsstelle benötigte Frau Meier seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur noch, wenn es Fragen zu den gerichtlichen Schreiben oder zum Pfändungsschutz gab. Die Strömung der Schulden nimmt sie seither kaum noch wahr. Ihre Gläubiger wissen, dass sie ihre Ansprüche gegen die zahlungsunfähige Schuldnerin nun beim Insolvenzverwalter anmelden können. Der Druck hat nachgelassen, die Nerven erholen sich - und das spüren auch Frau Meiers Kinder.
Ihre lang ersehnte Restschuldbefreiung für einen wirtschaftlichen Neubeginn ist nun in greifbarer Reichweite. Den Rettungsring wird Anke Meier schon bald wieder zurückgeben können. Den brauchen die Fachleute in der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung auch schon dringend für ihre nächsten Einsätze.